Wintersemester 2000/2001
Dozent: Herbert J. Holzinger herbert.holzinger@uv.es
1. Einführung
1.1 Definition und
Begriffsbestimmung
1.2 Geschichtlicher Überblick
2. Wortsemantik
2.2. Strukturelle Semantik
2.2.1 Das Sem
2.2.2 Notwendige und hinreichende Bedingungen
2.2.3 Semantische Beziehungen (Synonymie, Antonymie, Hyponymie)
2.2.4 Semantische Felder
2.2.5 Leistung und Grenzen der strukturellen Semantik
2.3. Kognitive Semantik
2.3.1 Der Prototyp
2.3.2 Hierarchisierung des Lexikons
2.3.3 Familienähnlichkeit
2.3.4 Szenen, Frames, Scripts
2.3.5 Psychologische Adäquatheit
2.3.6 Leistungen und Grenzen der kognitiven Semantik
3. Satzsemantik
3.1 Kompositionalität
3.2 Semantische Relationen zwischen Sätzen
BEWERTUNG und NOTE:
Eine schriftliche Prüfung mit theoretischen und praktischen Fragen. Die gesamte Prüfung ist in deutscher Sprache zu absolvieren.
Prüfungstermin: 2-2-01, 9:30 12 Uhr
Bibliographie:
Aitchison, J. (1994): Words in the Mind. An Introduction to the Mental Lexicon. Oxford: Blackwell.
Coseriu, E. (1990): Semántica estructural y semántica "cognitiva". In: Universitat de Barcelona (ed.): Profesor Francisco Marsá / Jornades de Filologia. Col.lecció Homenatges. Barcelona.
Gansel, Ch. (1992): Semantik deutscher Verben in kognitionspsychologischer Sicht. Frankfurt/M.: Lang.
Geckeler, H. (1971): Strukturelle Semantik und Wortfeldtheorie. München: W. Finck.
Heringer, H.-J. (u.a.) (1977): Einführung in die praktische Semantik. Heidelberg: Quelle & Meyer.
Hurford, J./B. Heasley (1983): Semantics: A Coursebook. Cambridge. Cambridge University Press.
Kleiber, G. (1990/dt. 1993): Prototypensemantik. Eine Einführung. Tübingen: Narr.
Lakoff, G. (1987): Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago: University of Chicago Press.
Lakoff, G./M. Johnson (1980): Metaphors We Live By. Chicago: University of Chicago Press.
Leisi, E. (1975): Der Wortinhalt. Heidelberg: Quelle & Meyer.
Liebert, W.-A. (1992): Metaphernbereiche der deutschen Alltagssprache. Kognitive Linguistik und die Perspektiven einer Kognitiven Lexikographie. Frankfurt.
Lüdi, G. (1985): Zur Zerlegbarkeit von Wortbedeutungen. In: Schwarze/Wunderlich (Hrsg.): 64-102.
Lyons, J. (1977/dt. 1980): Semantik. 2 Bde. München: Beck. (auch in span. Übersetzung verfügbar)
Lyons, J. (1991): "Bedeutungstheorien". In: Stechow, A.v./D. Wunderlich (Hrsg.): 1-24.
Ogden, C.K./I.A. Richards (1923): The Meaning of Meaning. London: Routledge & Kegan Paul.
Porzig, W. (1934): Wesenhafte Bedeutungsbeziehungen. In: Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur 58: 70-97.
Pottier, B. (1964): Vers une sémantique moderne. En: Travaux de Linguistique et de Littérature 2: 107-137.
Schwarz, M. (1996): Einführung in die Kognitive Linguistik. München: Francke.
Schwarz, M./J. Chur (1993): Semantik. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr.
Stechow, A.v./Wunderlich, D. (Hrsg.) (1991): Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Berlin (u.a.): de Gruyter.
Taylor, L. (1990): Teaching and Learning Vocabulary. New York: Prentice Hall.
Trier, J. (1931): Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Die Geschichte eines sprachlichen Feldes, Band 1: Von den Anfängen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. Heidelberg. Winter.
Ullmann, S. (1957/dt. 1972): Grundzüge der Semantik. Berlin: de Gruyter.
Wittgenstein, L. (1953/dt. 1977): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Wotjak, G. (1971): Untersuchungen zur Struktur der Bedeutung. München: Hueber.
Wunderlich, D. (1991): Arbeitsbuch Semantik. Frankfurt/M.: Hain.
Semantik
"Die Semantik wird allgemein definiert als die Wissenschaft, die sich mit den Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken beschäftigt." (Schwarz/Chur 1993: 15)
"Die lexikalische Semantik (auch Wortsemantik) beschäftigt sich mit den wörtlichen, kontextunabhängigen Bedeutungen von Wörtern, d.h. mit den im mentalen Lexikon gespeicherten Bedeutungen." (Schwarz/Chur 1993: 17)
Bedeutungen "sind geistige Einheiten, die an sprachliche Ausdrücke geknüpft sind und Informationen über die Welt abspeichern." (Schwarz/Chur 1993: 15)
z.B. Stuhl
IST EIN MÖBELSTÜCK, ZUM SITZEN, HAT EINE LEHNE, IST FÜR EINE PERSON
"Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache." (Wittgenstein 1977: 41)
"An die Ausdrücke einer Sprache sind Inhalte geknüpft, d.h. Informationen über bestimmte Gegenstandsbereiche. So läßt sich der Inhalt von Baum beispielsweise umschreiben als (IST EINE PFLANZE, HAT EINEN STAMM, ÄSTE, BLÄTTER usw.). Diese Inhalte stellen die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke dar." (Schwarz/Chur 1993: 22)
Ein sprachliches Zeichen hat damit, wie schon Saussure feststellte, einen Inhalt und einen Ausdruck. Dieses bilaterale Zeichenmodell ist von Ogden/Richards (1923) zu einem Dreieckmodell erweitert worden; vgl. dazu etwa die Darstellung in Schwarz/Chur (1993: 22)
Die Zuordnung von Form und Inhalt ist arbiträr. "Aus dem Ausdruck können wir nicht schließen, welche Eigenschaften die bezeichneten Gegenstände haben. Ein Baum wird nicht Baum genannt, weil er baumig ist." (Schwarz/Chur 1993: 23)
Wichtigkeit der lexikalischen Semantik:
"Semantisches Wissen hat eine ganz zentrale Bedeutung für alle Kommunikationsvorgänge. Formen ohne Bedeutungen haben für uns keinerlei kommunikativen Wert. Sprachliche Strukturen dienen dazu, Ideen, Wünsche usw. zu vermitteln. Will man die menschliche Sprachfähigkeit verstehen, muß man wissen, wie Bedeutungen an sprachliche Ausdrücke geknüpft sind." (Schwarz/Chur 1993: 15)
"Die grundlegenden Einheiten der Sprache, ihre kleinsten selbständigen Einheiten, sind für uns die Wörter, und Wörter kombinieren wir zu Sätzen." ( Schwarz/Chur 1993: 22)
Das Wort ist das wichtigste Element der Sprache; weder der Laut noch der Satz sind von so großer Bedeutung. (Leisi 1975: 9)
Leisi führt dafür u.a. folgende Gründe an (S. 9-10):
Grundideen des Strukturalismus
Strukturelle Semantik
Übungen zur Semanalyse:
Definitionen aus dem Duden Universalwörterbuch (1989) und Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (1993):
Kanapee:
1. (veraltend, noch iron.) Sofa. 2. <meist Pl> mit Delikatessen belegtes, garniertes [getoastetes] Weißbrotschnittchen
veraltend = Sofa, Couch
Sessel:
1. mit Rückenlehne, gewöhnlich auch mit Armlehnen versehenes, meist weich gepolstertes, bequemes Sitzmöbel (für eine Person). 2. (österr.) Stuhl
1. ein Möbelstück zum Sitzen für eine Person, das weich gepolstert ist u. mst Lehnen für die Arme und e-e breite Lehne für den Rücken hat. 2. (Österr.) = Stuhl. 3. CH = Sitz (2) (= im Parlament, im Aufsichtsrat)
Stuhl:
1. mit vier Beinen, einer Rückenlehne u. gelegentlich Armlehnen versehenes Sitzmöbel für eine Person: ein harter S.
1. ein Möbelstück, auf dem e-e Person sitzen kann u. das aus mst vier Beinen, e-er Sitzfläche u. e-er Rückenlehne besteht
Hocker:
1. [stuhlhohes] Sitzmöbel ohne Lehne für eine Person
1. ein Stuhl ohne Lehne (oft mit drei Beinen) (Bar-, Klavier-, Küchenhocker). 2. Ein niedriger H. (1), auf den man z.B. steigt, wenn man etw. in der Höhe erreichen will = Schemel
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Kanapee |
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Stuhl |
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Hocker |
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nach Wegner (1985: 11); das Beispiel stammt ursprünglich von Pottier (1964)
Übungen (nach Schwarz/Chur 1993)
1) Welche notwendigen und hinreichenden Merkmale haben die folgenden Wörter:
2) Wie kann man folgende Beispiele mit Merkmalen definieren und voneinander abgrenzen?
a) laufen, rennen, rasen, gehen
b) Autobahn, Straße, Weg, Pfad, Allee
c) Haus, Heim, Hütte, Hotel, Palast, Burg, Schloß, Zelt, Wohnwagen
d)leuchten, glühen, glänzen, blitzen, glitzern, strahlen, funkeln
Archilexem
Zwischen Archilexem und den einzelnen Lexemen besteht ein Verhältnis der Implikation (oder Inklusion):
Sitzgelegenheit
Stuhl
Klassem
"Klasseme sind eine bestimmte Art von Semen, die auch außerhalb der Wortfelder funktionieren, bzw. die durch eine Reihe von Wortfeldern hindurch funktionieren." (Geckeler 1971: 201) (belebt/unbelebt, transitiv/intransitiv)
Semem
Virtuem
Nach Pottier weist jedes Lexem vier Komponenten auf (zitiert nach Geckeler 1971: 214):
(particularisant) |
(généralisants) |
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Wie kann man die Lexeme tot, sterben und töten durch die folgenden Komponenten ausdrücken?
VERURSACHEN
NICHT
LEBENDIG
tot = NICHT LEBENDIG
sterben = WERDEN NICHT LEBENDIG
töten = VERURSACHEN WERDEN NICHT LEBENDIG
vgl. dazu:
NICHT VERURSACHEN WERDEN LEBENDIG
VERURSACHEN NICHT WERDEN LEBENDIG
Synonymie:
Sind folgende Wörter Synonyme?
Arzt, Doktor
Leiche, Tote(r), Verstorbene(r), Leichnam
Knast, Gefängnis, Vollzugsanstalt
entwenden, stehlen, klauen
Polizist, Bulle, Gesetzeshüter
Putzfrau, Raumpflegerin, Reinemachefrau
Wie die Leute aus dem Leben scheiden (Schwarz/Chur 1993: 54)
Der Färber - ist verblichen
Der Maurer - kratzt ab
Der Romanschriftsteller - endet
Der Matrose - läuft in den letzten Hafen ein
Der Pfarrer - segnet das Zeitliche
Der Schauspieler - tritt von der Bühne ab
Der Vegetarier - beißt ins Gras
Der Musiker - geht flöten
Der Schaffner - liegt in den letzten Zügen
Der Straßenfeger - kehrt nie wieder.
Antonymie:
Wie kann man betrunken definieren? Gibt es ein antonymes Adjektiv?
In welcher semantischen Relation stehen die folgenden Adjektivpaare:
Vagheit und Polysemie
(Schwarz/Chur 1993: 57) zitieren folgende Beispiele:
Die Schule steht neben dem Sportplatz.
Die Schule langweilt ihn.
Die Schule ist aus der Geschichte Europas nicht mehr wegzudenken.
Die Schule macht ihm Sorgen.
Worauf basiert der Effekt des folgenden Witzes?
Der Arzt: "Und die Medizin immer in einem Zug nehmen!"
Weitere Beispiele:
Er vertrieb den Mann mit dem Hund. Man schneide drei Tage alte Semmeln. In Paris kann man sich verlieben. Hans hat zu Roberts Sohn gesagt, daß er ihm helfen muß.
Wie kann man folgende Wörter ins Spanische übersetzen? Was fällt dabei auf?
Scherben, Geschwister, Rand
Leistung der strukturellen Semantik:
Probleme und Grenzen der strukturellen Semantik:
Zum Problem der Natur der sprachlichen Merkmale:
Woher kommen sie? Welchen Status haben sie? Sind es aus der Intuition abgeleitete Einheiten oder stammen sie aus der Wahrnehmung? Sind die Merkmale an die jeweilige Einzelsprache gebunden oder sind sie universell, also bei allen Sprachen zu finden? (Schwarz/Chur 1993: 41)
Obwohl das Ziel der strukturellen Semantik, "mit einem (sehr) kleinen Inventar an semantischen Merkmalen das Phänomen der lexikalischen Bedeutung auf einfache, adäquate und exhaustive Weise zu beschreiben" (Lüdi 1985: 99), nicht erreicht wurde, hat die Komponentenanalyse in bestimmten Bereichen des Lexikons gute Resultate geliefert. Sie kann deshalb nicht in ihrer Gesamtheit als untauglich zurückgewiesen werden.
Kognitive Semantik
"Die semantische Kompetenz umfaßt ein Kenntnissystem, das unser Bedeutungswissen repräsentiert, und ein System, von Prozeduren (auch: Mechanismen), die dieses Bedeutungswissen aktivieren können. Unsere semantische Kompetenz ermöglicht also das Verstehen und Produzieren von sinnvollen Äußerungen, aber auch das Erkennen und Einordnen von Bedeutungsrelationen, die sprachliche Bezugnahme auf die Welt und die Fähigkeit, Sätze nach ihrem Sinn und Wahrheitsgehalt zu beurteilen." (Schwarz/Chur 1993: 17)
"In der Kognitiven Semantiktheorie werden die folgenden Fragen gestellt: Was gehört alles an Informationen zu unserem semantischen Kenntnissystem? Wie sind diese Informationen im mentalen Lexikon repräsentiert? Wie aktivieren wir diese Informationen in Sprachproduktions- und Sprachreproduktionsprozessen?" (Schwarz/Chur 1993: 21)
Kategorisierung in der kognitiven Semantik
Die Zugehörigkeit eines Exemplars zu einer Kategorie wird nicht analytisch (über Merkmale) sonden holistisch durch einen Vergleich mit einem Prototyp festgestellt.
Beispiel: Vogel: zweibeiniges Wirbeltier mit einem Schnabel, zwei Flügeln und einem mit Federn bedeckten Körper, das im Allgemeinen fliegen kann (c) Dudenverlag (Universalwörterbuch auf CD-ROM, 2.0)
Vgl. dazu die Abbildungen in Hurford/Heasley (1983: 85)
Ein klassisches Beispiel der Prototypentheorie ist der bereits erwähnte Vogel. Dabei stellte sich bei Eperimenten heraus, daß nicht alle Vögel gleich "gute" Vertreter der Kategorie Vogel sind. Im Zentrum stehen prototypische Vögel, am Rand eher weniger typische Arten. Eine Abbildung in Aitchison (1994: 54) kann dies verdeutlichen.
Übung (modifiziert nach Schwarz/Chur 1993: 50)
Ersetzen Sie Vogel durch Spatz, Meise, Papagei, Adler, Huhn, Kolibri, Strauß, Pinguin
Vögel haben Federn.Vögel können fliegen. Vögel legen Eier.
Ich sah einen Vogel übers Haus fliegen.
Im Apfelbaum putzt ein Vogel sein Gefieder.
Auf dem Bauernhof leben viele Vögel.
Im Zoo nisten viele Vögel.
Der Vogel im Sprachvergleich:
Vogel:
zweibeiniges Wirbeltier mit einem Schnabel, zwei Flügeln und einem mit Federn bedeckten Körper, das im Allgemeinen fliegen kann
(c) Dudenverlag (Universalwörterbuch auf CD-ROM, 2.0)
ave
animal vertebrado ovíparo con alas y cuerpo cubierto de plumas (Moliner 1984)
pájaro
nombre aplicado a las aves como, por ejemplo, la golondrina o el gorrión, que son voladoras, con el pico recto, los tarsos rectos y delgados, y cuatro dedos, dirigidos uno hacia atrás y tres hacia delante (...). En lenguaje coloquial, cualquier ave pequeña (Moliner 1984)
Experimente zur Prototypentheorie (nach Kleiber 1993)
Die Zuordnung eines Exemplars zu einer Gruppe basiert auf einem Vergleich des Exemplars (z.B. eines Vogels oder eines Stuhls) mit einem prototypischen Vogel oder Stuhl. Entsprechende Experimente haben folgende Resultate erbracht (Kleiber 1993: 38-39):
a) Die prototypischen Vertreter werden schneller kategorisiert als die nicht-prototypischen Exemplare;b) Kinder prägen sich die prototypischen Vertreter zuerst ein; c) Die Prototypen dienen als kognitiver Bezugspunkt;
d) Die Prototypen werden in der Regel als erste genannt, wenn man Sprecher um eine Aufzählung der Vertreter einer Kategorie bittet.
In einem von D. Dubois (zitiert in Kleiber 1993: 39) durchgeführten Experiment mußten die Vpn entscheiden, ob der Satz Das Tier bellte, als der Briefträger eintrat zu den verschiedenen Bildern paßte, die ihnen gezeigt wurden:
A ein typischer HundB ein Pudel C ein Fuchs
D ein Schaf
Die Verifikationszeit war kürzer für A als für B, bei den positiven Antworten, und länger bei C als bei D bei den negativen.
Hecken oder Heckenausdrücke (englisch: hedges):
Ein Spatz ist ein typischer Vogel/Vogel par excellence.Lose gesprochen ist ein Telephon ein Möbelstück. Streng genommen ist Rhabarber ein Gemüse.
eine Art ..., so etwas wie ein ..., ein/e sonderbare/r/s ... etc.
Die Natur des Prototyps ist noch umstritten. In der einschlägigen Literatur findet man (mindestens) folgende Versionen:
Familienähnlichkeit nach Wittgenstein (1953/dt. 1977: 57), mit dem bekannten Beispiel Spiel.
Definitionen von Spiel aus Wörterbüchern:
Duden (1989):
1.a) Tätigkeit, die ohne bewußten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, aus Freude an ihr selbst u. an ihrem Resultat ausgeübt wird (das Kind war ganz in sein S. vertieft)
b) Spiel (1.a), das nach bestimmten Regeln von einer Gruppe von Personen [als Wettkampf] durchgeführt wird (das königliche S. (Schach))
c) Spiel (1b), bei dem der Erfolg vorwiegend vom Zufall abhängt u. bei dem um Geld gespielt wird, Glücksspiel (Roulette; Spionage ist ein gefährliches S.)
d) nach bestimmten Regeln erfolgender sportlicher Wettkampf, bei dem zwei Parteien um den Sieg kämpfen (kein konkretes Beispiel)
(bis Bed. 12. Phraseologismen mit Spiel)
Langenscheidt: Deutsch als Fremdsprache
1. nur Sg; etw. (e-e Aktivität), das man freiwillig ohne Zweck u. zum Vergnügen macht (wie es bes Kinder tun)
2. etw., womit man sich (mst mit anderen), nach bestimmten Regeln, aber zum Spaß beschäftigt (unterhält)
3. ein sportlicher Wettkampf zwischen zwei Menschen oder Mannschaften (Tennis, Fußball)
4. die Olympischen Spiele = (ungefähr) Olympiade
5. der Versuch, durch Glück (viel) Geld zu gewinnen
(noch weitere Bed. bis 12. einige ID)
"Unsere alltagssprachlichen Kategorien lassen sich oft nicht eindeutig beschreiben. Das hängt mit der Randbereichsunschärfe zusammen, die charakteristisch für viele Kategoriekonzepte ist. Wo genau ist die Grenze zwischen zwei Kategorien zu ziehen? Was ist Strauch und was ist Baum? Was ist Teich und was ist See? Was ist Spiel und was Kampf/Sport?" (Schwarz/Chur 1993: 48)
Semantische Netze:
Experimente mit der Priming-Methode haben die Existenz von semantischen Netzen in unserem Gedächtnis nachgewiesen.
"Bei diesem Testverfahren wird den Versuchspersonen ein Wort (z.B. Arzt) als Prime vorgegeben, anschließend wird ein anderes Wort als Zielwort (z.B. Krankenschwester oder Blume) genannt. Die Vpn [Versuchspersonen] sind vorher instruiert worden, so schnell wie möglich anzugeben (per Knopfdruck), ob es sich bei dem Zielwort um ein sinnvolles Wort oder lediglich um eine sinnlose Silbenfolge handelt. Diese lexikalische Entscheidung benötigt weniger Zeit, wenn das Prime-Wort in einer engen semantischen Relation zum Zielwort steht. Arzt und Krankenschwester gehören einem semantischen Feld (Krankenhauspersonal) an, Arzt und Blume nicht." (Schwarz/Chur 1993: 75)
Der Priming-Effekt wird folgendermaßen erklärt: es wird nicht nur die Bedeutung des Prime aktualisisert sondern es werden auch im selben semantischen Netz gespeicherte Wörter "in Bereitschaft " versetzt.
Priming Experimente haben gezeigt, daß außersprachliche Elemente wie grafische Darstellungen das entsprechende Netz aktivieren können. Nach dem Vorzeigen eines Bildes einer Rose wird eine Nelke schneller erkannt als nach dem Vorzeigen einer Kuh als Prime. (Schwarz/Chur 1993: 76)
"Teile des Lexikons scheinen demnach nicht nur über sprachliche Verarbeitungswege aktivierbar zu sein. Lexikalisches Wissen ist offensichtlich nicht modulartig abgeschlossen und isoliert gespeichert. Vielmehr ist es in Bezug auf die Abrufbarkeit seiner Informationen zumindest für einen Teil ein offenes System, das durch die Einheiten anderer, nicht-sprachlicher Wissenssysteme aktiviert werden kann." (Schwarz/Chur 1993: 76)
Deixis:
Übung:
Morgen sieht es hier anders aus! Welche Bedeutungen haben morgen, hier und anders, wenn der Satz in den folgenden Kontexten geäußert wird? A: Die Mutter im unordentlichen Zimmer ihrer Tochter; B: Ein Lokalpolitiker auf einer Wahlveranstaltung; C: ein Wissenschaftler auf einem Kongreß für Umweltfragen. (modifiziert nach Schwarz/Chur 1993: 96)
Frames, Szenen, Scripts, Schemata:
Jürgen verbrannte sich die Hand, weil er vergessen hatte, daß der Ofen an war.
Um diesen Satz verstehen zu können, muß das Wissen aktiviert werden, daß Öfen heiß sind, wenn sie angestellt sind. Außerdem muß der Rezipient die Schlußfolgerung ziehen: Jürgen berührt mit der Hand den Ofen." (Schwarz/Chur 1993: 100)
"Schemata sind netzartig strukturierte Wissensbereiche im LZG, die stereotype Situationen und Handlungen als mentale Modelle repräsentieren. Sie fungieren damit als Gerüst in der Organisation und Interpretation von individuellen Erfahrungen. Die Menge aller Schemata ergibt unser Weltmodell." (Schwarz/Chur 1993: 103)
(Schwarz/Chur 1993: 103) im Restaurant essen:
Restaurant betreten, Tisch suchen und sich hinsetzen, Speisekarte ansehen und etwas auswählen, dem Kellner bescheid geben, auf die Speise warten, die Speise mit Besteck verzehren, bezahlen (eventuell ein Trinkgeld geben), das Restaurant (im Idealfall satt) wieder verlassen.
"Die einzelnen Wissensbestandteile von Skripts sind als sogenannte Defaults gespeichert. Defaults repräsentieren Standardannahmen über bestimmte Gegenstands- und Handlungsbereiche in der Art: Solange nichts Gegenteiliges bekannt ist, gehe ich davon aus, daß x die Eigenschaft y hat." (Schwarz/Chur 1993: 104)
"Solange nichts Gegenteiliges bekannt ist, gehe ich davon aus, daß ein Kellner den Gast im Restaurant bedient. Bei einem Streik des Gaststättenpersonals muß ich diese Annahme dann entsprechend der jeweiligen Situation anpassen und modifizieren." (Schwarz/Chur 1993: 104)
Wir besuchten gestern ein Spezialitätenrestaurant. Der Kellner war unhöflich. Er bekam zum Schluß kein Trinkgeld von uns.
Übungen:
Was gehört zu den folgenden Scripts:
Schuhkauf; ins Kino gehen;
Metaper und Metonymie:
"Die Bildung von Metaphern beinhaltet die Konzeptualisiserung einer kognitiven oder psychischen Domäne mit der Hilfe einer anderen Domäne (z.B. Zeit mit Raum wie in große Zeitspanne, die Minuten füllen). Daher finden sich Metaphern primär dort, wo es um Grenzgebiete menschlicher Erfahrung geht, wo Konzeptbereiche erschlossen und dargestellt werden, für die es noch keine sprachlichen Bezeichnungen gibt: in der Literatur und Dichtung und in der Wissenschaft." (Schwarz/Chur 1993: 108)
Beispiel für Metonymie:
Er hat einen Picasso/van Gogh/Dürer im Wohnzimmer.
Viele Metaphern sind lexikalisiert: die Zeit totschlagen, am Fuße des Berges, am Rande des Ruins (Schwarz/Chur 1993: 109)
Erziehen Sie Ihren Mann so, daß er Ihnen aus der Hand frißt, dadurch sparen Sie eine Menge Abwasch! (Schwarz/Chur 1993: 110)
Ad-Hoc-Komposita:
Wie kann man folgende Komposita interpretieren? (Beispiele von Schwarz/Chur 1993: 112-113)
Lebkuchenmann - Müllmann
Kartoffelsalat - Kakerlakensalat
Übung:
Folgende "Definitionen" entsprechen nicht der üblichen Interpretation der (abgeleiteten oder zusammengesetzten) Wörter. Was bedeuten sie wirklich und wie kann man die "falschen" Interpretationen erklären? (nach Schwarz/Chur 1993: 113)
Allgemeinheit: bösartiges Verhalten des Kosmos
Abteile: Hast eines Klostervorstehers
Blasebalg: pustende Göre
Dramatisch: von ernsten Dichtern benutztes Möbelstück
Feuerzeuge: Zuschauer bei einem Brand
Einreiher: Rangierer im Güterbahnhof
Kohlestift: Lehrling im Bergbau
Tonkünstler: Designer für Keramikwaren
Was bedeuten die folgenden Wörter wirklich und wie könnte man sie "falsch" definieren?
Kleinode, Versehen, Nachteile, Wasserhahn